Wie kann es gelingen sich sozialverträglich abzugrenzen?

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Wir alle kennen das Phänomen, dass es Menschen gibt, die ohne jegliche Rücksichtnahme einen vollkommen in Beschlag nehmen: Kollegen, die einen ständig um Hilfe bitten, den Chef, der ständige Verfügbarkeit verlangt, die eigenen Eltern, die den regelmäßigen Besuch einfordern oder die Schule der Kinder, die den Einsatz beim Sommerfest erwartet.

Da hilft manchmal nur noch eins: Abgrenzung um bei sich zu bleiben und sich um seine Interessen zu kümmern.

Abgrenzung ist ein notwendiger Selbstschutz, um nicht fremdbestimmt zu leben, sondern seine eigenen Entscheidungen zu treffen und auch danach zu handeln. Das fällt manchen Menschen sehr schwer, da sich andere dann oft in ihrem „Gewohnheitsrecht“ beschnitten fühlen. Dennoch kann man es lernen, sich sozialverträglich abzugrenzen.

Wie kann man Abgrenzung eigentlich definieren?

Abgrenzung bedeutet, die eigenen Grenzen zu bestimmen und zu definieren, d.h. selbst zu entscheiden, wie weit man gehen möchte. Jeder Mensch hat solche Grenzen: diese sind jedoch nicht allgemein gültig, sondern individuell.

Die eigene Standhaftigkeit wird oft auf die Probe gestellt, wenn andere Menschen sich über die eigenen Grenzen hinwegsetzen.

Das kann passieren, wenn man

  • seine eigenen Grenzen nicht kennt
  • sie zwar kennt, aber nicht klar artikuliert hat oder
  • andere die Grenzen ignorieren

Die eigenen Grenzen nicht zu kennen, kann beispielsweise bedeuten, wieder einmal eine Zusatzschicht zu übernehmen, obwohl man schon seit Wochen urlaubsreif ist. Man ist häufig müde, schlecht gelaunt, kann dem Kollegen aber den Wunsch einfach nicht abschlagen.

Das reflektiert man in diesem Augenblick aber nicht, weil man das Gefühl der Müdigkeit beiseite- schiebt und sich selbst nicht ernst nimmt.

Letztendlich gibt es noch die Zeitgenossen, die die Grenzen anderer schlichtweg ignorieren: man bittet zum Beispiel darum nach 22 Uhr nicht mehr angerufen zu werden und der Kollege klingelt dennoch durch.

Warum fällt uns Abgrenzung häufig so schwer?

Das Phänomen der mangelnden Abgrenzung wird insbesondere bei Frauen häufig beobachtet. Dafür wird neben den persönlichen Voraussetzungen vor allem die geschlechtsspezifische Erziehung verantwortlich gemacht. Frauen sollen gefälligst eine soziale Ader haben, das heißt, dass sie hilfsbereit, nett und freundlich sind.

Allzu energisches Auftreten wird hingegen tendenziell als unweiblich betrachtet, Bescheidenheit und Höflichkeit hingegen gefördert. Wenn sich diese Person dann abgrenzen will, führt dies häufig zu Problemen. Von Verlassensängsten bis hin zur Angst vor Liebesentzug sowie sozialem Druck treten sowohl bei Frauen als auch bei Männern verschiedene Befürchtungen zutage:

  • werde ich als egoistisch angesehen?
  • verletze ich den anderen?
  • werde ich verlassen und bin dann allein?
  • wirke ich kaltherzig und lieblos?
  • komme ich meiner Pflicht als gute Tochter/guter Sohn nicht nach?

Abgrenzung um persönliche Werte zu schützen

Abgrenzung um seine persönlichen Werte zu schützen, ist nicht nur wichtig, sondern stellt auch einen Schutz dar. So kann man sich die Frage stellen, was die eigenen persönlichen Grenzen sind und wie man sie durchsetzen kann? Man muss sich vor allem vor Augen führen, dass sie persönlich und die Grenzen anderer Menschen ebenso zu respektieren sind.

Hierbei handelt es sich zunächst einmal um allgemein verbindliche Werte, die sich an gesetzlichen Vorgaben orientieren. Andere Werte und Normen sind zwar gesellschaftlich verankert, ihre Zuwiderhandlung aber nicht unbedingt strafbar.

In der Regel wird man mit dieser Haltung wenig Probleme haben. Schwieriger wird es, wenn die eigenen Überzeugungen andere Menschen behindern oder ihre bisherigen Vorteile einschränken.

Ursachen für Schwierigkeiten bei der Abgrenzung

Viele Grenzen haben wir verinnerlicht, in vielen Fällen sind sie uns dennoch nicht bewusst. Das kann man zum Beispiel beobachten, wenn jemand unsere persönliche Distanzzone nicht einhält, wobei auch hier viel von der persönlichen Einschätzung abhängt.

Bei vielen Menschen, denen das Abgrenzen schwerfällt, kann die Ursache in der Kindheit liegen, denn wer bereits Eltern hatte, die über die Grenzen des Kindes permanent hinweggingen, hat auch als Erwachsener Probleme.

Auch Hochsensiblen fällt es häufig schwer, sich abzugrenzen, da sie über eine große Empathie verfügen. Der Kollege ist mal wieder zeitlich in der Bredouille und zudem noch ganz sympathisch, also helfen Sie aus.

Wie lernt man sich richtig abzugrenzen und Ausbeutung vorzubeugen?

Menschen, die immer darauf bauen konnten, dass ihnen garantiert aus jeglichen Schwierigkeiten geholfen wird, wundern sich natürlich, wenn man anders als gewohnt reagiert. Aber man sollte sich dabei bewusst sein: wer die Grenzen eines anderen nicht akzeptiert, ist seiner Freundschaft/Kollegialität auch nicht wert.

Es ist nicht unkollegial, auch einmal nein zu sagen, denn letztendlich tankt man dann auch Energie für die Zeiten, in denen man wieder ja sagen kann. Dagegen ist es sehr unkollegial, ständig Arbeit auf andere abzuwälzen und deren guten Willen auszunutzen.

Wenn ein Mensch achtsam mit sich ist, dann fällt ihm an folgenden Merkmalen auf, dass er unter Umständen sich nicht richtig abgegrenzt hat: Druckgefühl im Magen? Nervosität? Wut, Ärger, Tränen? All diese Symptome zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist!

Lernen Sie zu beobachten, indem Sie sich die W-Fragen stellen: Wer, Wann, Was, Wie, Warum?

  • Wer verursacht dieses ungute Gefühl?
  • Warum?
  • Wie wirkt sich das aus?

Vielleicht funktioniert nicht alles im ersten Anlauf, aber die Übung macht den Erfolg aus. Und drei weitere Abgrenzungstipps können helfen:

  • auf die eigene Intuition hören

Wenn ihr Bauchgefühl sagt, dass die Sache nicht korrekt ist und Sie sich verspannen, dann ist es besser, direkt nein zu sagen. Denn Bauchgefühle gehen meist auf tief vergrabene Erfahrungen zurück, sind also keineswegs lediglich gefühlsbasiert.

  • nehmen Sie sich Zeit

Dieser Tipp bietet sich bei Menschen an, die Ihnen noch fremd sind und die Sie nicht einschätzen können. Wenn eine Antwort von Ihnen erwartet wird, vertrösten Sie den Fragenden auf später. Das gibt Ihnen wiederum die Gelegenheit in sich hineinzuhorchen: will ich wirklich schon wieder aushelfen? Versichern Sie Ihrem Gegenüber, dass Sie sich wieder melden werden. Damit demonstrieren Sie Zuverlässigkeit, denn wer erst zu- und dann wieder absagt, wird als unzuverlässig wahrgenommen.

  • klare Formulierung

Je nachdem, wen man vor sich hat, ist Diplomatie durchaus angesagt. Denn dem Chef ein kurzes und bündiges Nein entgegenzuschmettern, könnte Unmut und Befremden auslösen. Außerdem sollte man Ausflüchte und Entschuldigungen vermeiden. Jeder hat das Recht, sich vor Überforderung zu schützen, allerdings kommt es auf den richtigen Tonfall an: bleiben Sie freundlich und ruhig und weisen Sie auf mögliche Konsequenzen hin, dass z. B. eine andere Arbeit liegen bleibt. Zeigen Sie Verständnis für das geforderte Anliegen, aber bleiben Sie standhaft, denn sonst wirken Sie unglaubwürdig.

Viele Menschen fragen sich auch, ob es überhaupt richtig ist, sich mit Grenzen zu beschäftigen. Denn wir wollen nicht egoistisch sein oder andere Menschen willkürlich ausgrenzen bzw. deren Bedürfnisse ignorieren. Der bekannte Therapeut und Autor Wayne Muller sagt dazu, dass es absolut notwendig ist, sich Schutzzonen zu schaffen um das heranzuziehen, was wir brauchen, d.h. Zeit und Aufmerksamkeit für die uns wichtigen Dinge. Dieser Bereich muss durch klare, für alle gut erkennbare Grenzen geschützt werden.

Grenzen oder Mauern?

Es ist sehr hilfreich, sich bewusst zu machen, dass gesunde Grenzen, im Gegensatz zu Mauern, durchlässig sind. Viele Menschen denken bei dem Wort „Grenze“ jedoch unwillkürlich an eine Mauer. Das macht es natürlich schwer, sich mit dem Thema „Grenzen“ liebevoll und kreativ zu beschäftigen. Denn das Leben ist viel schöner und auch der Kontakt zu unseren Mitmenschen wird viel erfreulicher, wenn wir unseren Mitmenschen Grenzen setzen und diese auch klar kommunizieren können.

Mit Hilfe der Fähigkeit, Nein zu sagen und klare Grenzen zu setzen, gewinnt man innere Stabilität und langfristig vertiefen sich unsere Beziehungen sogar.

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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