„Die Engel tragen jetzt Chanel.“ – Au revoir Monsieur Lagerfeld

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Wer kannte ihn nicht? Selbst Menschen, die mit der Modewelt nicht so vertraut waren, kannten den Exzentriker, als den er sich in der Öffentlichkeit gerne selbst darstellte: das weiß gepuderte Haar mit dem Zopf, die Sonnenbrille, die Handschuhe und der Fächer – das waren die Accessoires, an denen man ihn sofort erkannte. Sein Outfit war stets durchgestylt, der Vatermörderkragen, den er schon in Kindertagen trug, ein Erkennungsmerkmal – so wurde er schon zu Lebzeiten eine Legende. Er hatte viele Namen: Modezar, Ikone der Modewelt, Kaiser Karl – hinter all diesen Namen verbarg sich ein Multitalent mit einer unglaublichen Kreativität, das in vielen Berufen sich ausleben und ausdrücken konnte. Er war in erster Linie Modeschöpfer, aber auch Fotograf, Innenarchitekt und Verleger und in allen Bereichen ein großer Visionär. Seine eigene Bibliothek umfasste viele Tausend Bände (ca. 30.000) – seine Allgemeinbildung war sehr umfassend -schon im Alter von sechs Jahren hatte er die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann gelesen – und er war ein Mensch, der sich für alles interessierte und sich begeistern konnte. Eloquent in mehreren Sprachen konnte er sich in verschiedenen Welten mühelos bewegen. Er war ein witziger, einfühlsamer Gesprächspartner, der viel Humor hatte und auch über eine gehörige Portion Selbstironie verfügte.

Fast bis zum Ende hat er ununterbrochen gearbeitet, er war sozusagen ein Workaholic, aber er selbst meinte dazu nur: „Stress?Ich kenne nur Strass.“ Nun trauert die Modewelt um ihn, am 19.2.2019 ist er im Alter von 85 Jahren gestorben. 

Er war auch der Entdecker vieler Models gewesen, und Claudia Schiffer, die neben manchen anderen eine seiner Musen war, sagte einmal: „Karl Lagerfeld sei für die Modeszene das gewesen, was Andy Warhol für die Kunstszene war. Er sei der einzige gewesen, der aus Schwarz und Weiß etwas Farbenfrohes herstellen konnte.“

Karl Lagerfeld, geboren am 10.9.1933 in Hamburg, hatte eine sorgenlose Kindheit und wuchs in ausgesprochen wohlhabenden Verhältnissen auf. Sein Vater, Otto Lagerfeld, war Fabrikant (Glücksklee-Milch), seine Mutter Elisabeth Lagerfeld, geb. Bahlmann, erzog die Kinder, -sehr streng und sie war vor allem auf eine gute Ausbildung bedacht -. Karl hatte noch eine ältere Schwester, die. Später in die USA auswanderte und dort 2015 starb. Gemeinsam mit seiner Mutter zog er 1953 nach Paris, das seine Wahlheimat wurde.

Dort besuchte er zunächst eine Privatschule und das Lycée Montaigne im Quartier Latin und arbeitete im Anschluss daran als Illustrator im Modebereich. Seine Hände waren sein Kapital: mit unheimlicher Geschwindigkeit konnte er skizzieren und im Grunde zeichnete er ununterbrochen. Dabei war es ihm sehr wichtig, nur mit wertvollem Papier zu arbeiten. Deshalb mied er schon seit seiner Schulzeit stets alle Sportarten, bei denen er seine Hände in Gefahr gebracht hätte.

Zu seiner Mutter hatte er zeitlebens ein intensives, aber dennoch distanziertes Verhältnis, er verehrte sie, obwohl sie eine sehr strenge und fordernde Frau war – sie war mein unerbittlicher Trainer, sagte er einmal. Sie starb 1978.

In Paris fand Lagerfeld auch die große Liebe seines Lebens: Jacques de Bascher, den großen Verführer, sehr eitel und ein Dandy wie Karl Lagerfeld selbst. „Er war der eleganteste Franzose, den ich je gekannt habe.“ 18 Jahre waren sie ein Paar. Eine Affäre de Baschers mit Yves Saint Laurent führte zu einer lebenslangen Feindschaft zwischen den beiden Modeschöpfern. Der Geliebte infizierte sich in den Achtzigern mit HIV, Lagerfeld blieb bis zu seinem Tod an seiner Seite und umsorgte ihn. Nach dem Tod seines Lebenspartners im Jahr 1989 lebte Karl Lagerfeld am liebsten allein.

Freunde hatte er nie viel, auf Familienbeziehungen legte er wenig Wert. Er hatte allerdings sieben Patenkinder, von denen ihn nach seinen Aussagen nur zwei wirklich interessierten.

Nach de Baschers Tod hatte er zwar noch den einen oder anderen Partner, aber die große Liebe wurde es nicht mehr. Als männliche Muse begleitete ihn lange Baptiste Giabiconi. Menschliche Nähe erkaufte er sich auch mit Escorts, selbstredend nur mit hochklassigen.

Eine ganz besondere Beziehung pflegte er zu seiner Birma-Katze Choupette – sie war seine treue Begleiterin – zwei Cat-Sitterinnen sorgten für ihr Wohlergehen, ein Hauskoch bereitete alle Speisen für sie zu, das Beste war gerade gut genug für sie..

Auch bei verschiedenen Kampagnen bezog Lagerfeld sie mit ein: so war sie z.B. auf dem Cover der Vogue oder machte Werbung für Opel. Nun trauert Choupette um „Daddy Karl“.

Der Grundstein für seinen lebenslangen Erfolg wurde 1954 gelegt, als er den begehrten „International Woolmark Prize“ mit einer Modeskizze für einen Mantel, die bereits den Geist von Chanel atmete, gewann. Beim selben Wettbewerb gewann auch Yves Saint Laurent mit einem Abendkleid. Die damals beginnende Freundschaft t zwischen den beiden, die damals begann, sollte allerdings in eine lebenslange Rivalität münden. Ab 1954 absolvierte er eine Schneiderlehre bei Pierre Balmain um nach dreieinhalb Jahren Anfang 1958 zu Jean Patou zu wechseln. Dort war er bis 1963 Künstlerischer Direktor. Weitere Stationen waren die Firmen Chloé und Fendi. Eine Eigenmarke kreierte er 1974 unter dem Namen Karl Lagerfeld Impression.

Endgültig berühmt machte ihn sein Wechsel als Kreativdirektor zu Chanel im Jahr 1983, indem er nach dem Tod von Coco Chanel der Marke zu einem Revival verhalf. Chanel steckte damals in einer schweren Krise, Lagerfelds Variationen des klassischen Chanel-Kostüms brachten die Wende: er verzierte es mit Strass und Perlen. Ziemlich bald verantwortete er als Chefdesigner „auf Lebenszeit“ alle Linien des Hauses. Er hatte stets neue Ideen, die jedoch immer auf dem Stil von Coco Chanel (1883-1971) beruhten. Heute ist Chanel die bekannteste Luxusmarke der Welt.

Stillstand war für Lagerfeld unerträglich: mindestens 16 Kollektionen entwarf er pro Jahr, oft mehr. 

Ebenso konnte er als Fotograf große Erfolge verzeichnen. Zunächst fotografierte er die eigenen Modelle, später arbeitete er auch für Magazine und verlegte mit großem Erfolg Kunstbücher.

Seine Bilder von Claudia Schiffer, Caroline von Monaco oder dem Popkünstler Jeff Koons machten ihn auch diesem Gebiet berühmt.

Es zeichnete Karl Lagerfeld aus, dass viele seiner Mitarbeiter ihm über Jahrzehnte die Treue hielten – seine geistreiche, humorvolle und fürsorgliche Art wurde von diesen wie auch von den Models gleichermaßen geschätzt und geliebt. Niemals wurde er laut, aber er sagte jeden Satz nur einmal. Da galt es genau hinzuhören, was bei seiner Redegeschwindigkeit absolut eine Herausforderung war, zumal er oft auch zwischen den Sprachen wechselte.

Deshalb ist es jetzt nur konsequent, dass seine Mitarbeiterin Virginie Viard, mit der er über 30 Jahre lang eng und vertrauensvoll zusammenarbeitete, seine Nachfolge antritt.

In der internationalen Modewelt hinterläßt Karl Lagerfeld eine große Lücke – eine Ära geht zu Ende. Neben seiner unermüdlichen Kreativität zeichnete ihn auch ein großes Gespür für den Zeitgeist aus, den er sensibel wahrnahm und oft schon, quasi seiner Zeit vorauseilend, erspüren konnte. Er konnte Verbindungen schaffen, aber auch polarisieren, da er sich nicht scheute, seine Meinung vehement zu vertreten. Er lebte stets nach dem Motto: „Mich interessiert nur meine eigene Meinung.“

Insbesondere unzählige Models der 90er Jahre und der gegenwärtigen Zeit, die er entdeckt, gefördert, denen er eine Chance gegeben und ihnen die Augen für die Welt geöffnet hat, verehren und lieben ihn über seinen Tod hinaus: „Du bist mehr als eine Fashion-Ikone. Dein Image und Dein Erbe wird für immer und ewig weiterleben.“ Tyra Banks

Er war der wichtigste deutsche Modeschöpfer, schon zu Lebzeiten eine Ikone, ein Repräsentant der Welt der Schönen und der Reichen, sich selbst immer gestylt zum Spitzenprodukt. „Ich bin ein lebendes Label“, so bezeichnete sich Karl Lagerfeld selbst einmal.

Frankreich bzw. Paris wirkte immer wie ein Magnet auf alle Modeschöpfer und Künstler jeglicher Couleur. Am späten Dienstagabend würdigte das französische Präsidialamt ihn als Ästheten und großen Botschafter der Mode. Frankreich habe Lagerfeld viel zu verdanken. Der Elyséepalast teilte mit: „ Die Haut-Couture, die Mode, der französische und der europäische Stil verlieren an diesem Tag eines ihrer größten Talente und ihren berühmtesten Botschafter.“

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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