Was bedeutet Resilienz?
Das Wort Resilienz stammt vom lateinischen Begriff resiliere – abprallen, zurückspringen. Unter Resilienz versteht man die Fähigkeit, an Widerständen nicht zu zerbrechen, sondern sich als widerstandsfähig zu erweisen. Diese Eigenschaft trifft auf Materialien zu, die, wenn großer Druck auf sie ausgeübt wird, nicht zerbrechen oder einen Sprung bekommen. Ein Material bezeichnen wir dann als resilient, wenn es nachgiebig, elastisch, federnd ist wie wir es zum Beispiel vom Bambus kennen.
In der Psychologie wird dieses Prinzip auf Menschen angewendet: resiliente Menschen lassen sich nicht unterkriegen, zerbrechen nicht und haben eine ausgeprägte Widerstandsfähigkeit, wenn sie sich in dramatischen Situationen befinden, wenn es gilt Krisen auszuhalten oder Schocks zu verkraften. Das gelingt ihnen, weil sie in der Lage sind, auf sozial vermittelte Kraftquellen zurückzugreifen.
Ist Resilienz angeboren oder kann man sie erwerben?
Zu einem sehr großen Prozentsatz lässt sich Resilienz erlernen. Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die von sich aus widerstandsfähiger sind. Das kann „ererbt“ sein. Resilienz ist ein lebenslanger Prozess, kein Zustand, keine statische Eigenschaft, sondern ein Entwicklungsergebnis.
Was zeichnet eine resiliente Gesellschaft aus?
Bei der Beurteilung dieser Frage sind vier Aspekte entscheidend: 1.das Ernstnehmen von Gefahren 2.eine angemessene Vorbereitung 3.die Anpassung an die neue Realität 4.die Fähigkeit Veränderung zuzulassen.
Zum 1. Punkt: Sich abzeichnende Krisen werden durch eine resiliente Gesellschaft nicht verdrängt. Wer Bedrohungen nicht wahrnimmt, verdrängt oder bagatellisiert, der verfügt über keine ausreichende Resilienz. In der Forschung wird uns gezeigt, dass soziale Systeme nicht zuletzt dann zusammenbrechen, wenn trotz offensichtlicher oder latenter Probleme so weitergelebt wird wie bisher und man nicht bereit ist, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen bzw. nicht in ausreichendem Maße.
In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die Bedeutung der Wissenschaft, weil sie oft nicht sichtbare Veränderungen diagnostizieren und in wissenschaftliche Modelle übersetzen kann.
Unter anderem können wir von Epidemiologen und Virologen lernen, aus welchen Gründen es wichtig sein kann, frühzeitig auf Krisen zu reagieren, auch wenn die Auswirkungen noch nicht direkt sichtbar sind.
Zum 2. Punkt: Eine resiliente Gesellschaft ist auf Wirtschafts- bzw. Finanzkrisen, Naturkatastrophen, Virusepidemien vorbereitet, auch wenn diese nicht vorhergesagt werden können. Aus der aktuellen Corona-Krise lernen wir gerade, wie wichtig es ist, dass das medizinische System darauf ausgerichtet ist, relativ schnell Intensivkapazitäten hochfahren zu können. Im Gegensatz zur Effizienz ist die Resilienz ein anderer Modus der Orientierung, denn in einem resilienten System hält man etwas zurück, man spart, d.h. in den guten Jahren sorgt man für Vorratskapazitäten, man spart um in mageren Zeiten überleben zu können. Redundanzen gewinnen an Bedeutung, d.h. es ist gut, wenn es etwas doppelt gibt: wenn ein System ausfällt, kann das andere einspringen. In einer Wirtschaftskrise sollte es, wenn z.B. eine Bank zusammenbricht, nicht auch alle anderen, gleich einem Dominoeffekt erwischen. Aus diesem Grunde muss gewährleistet sein, dass „Übertragungswege“ relativ schnell unterbrochen werden können. Das können wir gerade bei der Corona-Pandemie wahrnehmen und lernen. Ein weiterer Resilienzfaktor ist Diversität: wenn ein Weg versperrt ist bzw. nicht klappt, kann ein anderer ausprobiert werden. Wir können daraus schließen, dass Resilienz auch bedeutet, vor allem handlungsfähig zu bleiben.
Zum 3. Punkt: die Anpassung an die neue Realität ist bereits Teil eines Lernprozesses, d.h. eine Gesellschaft übt eine „neue Normalität“ ein, indem sie Gefahren nicht nur abwehrt, sondern damit zu leben lernt.
Zum 4. Punkt: ein weiterer wichtiger Baustein einer resilienten Gesellschaft ist die Fähigkeit der Transformationsfähigkeit, was bedeutet, dass sie in der Lage ist, Lernblockaden abzubauen und neue Wege zu beschreiten. Der Status quo ist auf jeden Fall keine Resilienzstrategie.
Resilienz ist aber immer mehr als nur Selbstoptimierung und Krisenresistenz, denn unter Resilienz versteht man nicht Unverletzlichkeit, sondern das Glück gelingenden Lebens inmitten aller Unvollkommenheiten und Verwundungen.
Der Glaube spielt bei vielen Menschen eine nicht unerhebliche Rolle. In diesem Zusammenhang hat vor allem das Phänomen des Vertrauens eine zentrale Bedeutung. In der Bibel wird Gottvertrauen als ein Schlüssel für die Krisenbewältigung verstanden sowie als Kraft um Schweres durchzustehen, denn nur wer der Tragfähigkeit des Bodens vertrauet, kann sich auch auf den Weg machen und gehen. Menschen, die sich getragen fühlen, von welcher Macht auch immer, können gelassener mit schwierigen Situationen umgehen.
Andererseits müssen wir auch das Bedürfnis haben, die Kontrolle zu behalten, denn sonst werden wir von der hereinbrechenden Krise überrollt. Darüber hinaus ist eine gewisse Gelassenheit notwendig sowie das Gefühl, dass es schon gut ausgehen wird.
Empirische Studien zur Frage von Religion und Resilienz haben ergeben, dass religiöse Menschen eher von Gemeinschaften aufgefangen werden. Sie sind nicht resilienter, weil sie gläubig sind, sondern weil sie mit einer Gemeinschaft Gleichgesinnter verbunden sind.
Wie beeinflusst die Corona-Pandemie die Resilienz des Einzelnen und der Gesellschaft?
In erster Linie bringt uns die Krise zum Nachdenken, denn das Virus deckt schonungslos all die Schwächen, Widersprüche und Verwundbarkeiten auf, die wir im privaten, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Alltag nicht wahrhaben wollen bzw. können. Wir werden aus unserer Wohlfühlzone vertrieben und müssen darüber nachdenken, wie wir eigentlich leben wollen.
Wie wichtig ist uns eine intakte Umwelt, sauberes Wasser, eine reine Luft? Welchen Stellenwert hat unsere Gesundheit und welchen Preis sind wir bereit dafür zu zahlen? Welche Bedeutung hat für uns die Zeit für die Familie, den Partner bzw. die Partnerin, die Kinder, die älteren Menschen?
Wenn man sich diese Fragen stellt, dann ist das der Beginn der Auseinandersetzung mit der Frage der Transformationsfähigkeit, das bedeutet mit der Fähigkeit zu grundlegenden Veränderungen.
Das Spezielle an der Corona-Krise ist die Tatsache, dass sie uns alle betrifft, aus welchem Blickwinkel auch immer. Doch wie wir die aktuelle Situation empfinden, ist ausgesprochen unterschiedlich. Die einen sind stark beunruhigt, nahezu panisch, lesen stets sie neuesten Nachrichten, die ihre Weltsicht noch bestätigt und sind im schlimmsten Fall nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Andere wiederum lassen sich von der Angst nicht beherrschen, fühlen sich nahezu angenehm entschleunigt und sind froh, mehr Zeit sowohl für ihnen nahestehende Menschen als auch für Aktivitäten zu haben, die sonst im Alltag stets zu kurz kamen. Was der eine Mensch als Krise empfindet, erlebt ein anderer als Chance.
Der unterschiedliche Umgang mit der Krise hängt einerseits von der Lage ab, in der sich eine Person befindet, andererseits aber von der eigenen Sichtweise, die sich in gewissem Maße selbst steuern lässt. Das lässt sich u.a. am Beispiel Home-Office erläutern: in dem einen löst es ein ganz bestimmtes Gefühl aus, bei einem anderen vielleicht ein ganz anderes. Bei diesen Emotionen gibt es aber einen Zwischenschritt, der meist sehr schnell und unbemerkt geschieht, nämlich die Bewertung der Situation.
Warum dieser Schritt aber entscheidend ist, beschreibt der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Albert Ellis (1913-2007) im sogenannten ABC-Modell:
A = Activating Event – die Situation
B = Beliefs – Überzeugungen, Erfahrungen
C = Consequences – Gefühle und daraus folgende Verhaltensweisen
In unserem Beispiel ist das Home-Office die Situation (A). Nun bewerten Sie das Home-Office beispielsweise anstrengender als das Büro, weil Sie sich zuhause aus verschiedenen Gründen abgelenkt fühlen. Zudem haben Sie die innere Überzeugung (B): Ich muss mich immer wieder neu beweisen. Der Kollege hingegen sieht es so, dass er im Home-Office ruhiger arbeiten kann als im Büro, außerdem ist er überzeugt davon, dass er das schafft, was er sich vornimmt. Aus diesem Grund entstehen bei den verschiedenen Menschen ganz unterschiedliche Gefühle (C).
Das bedeutet: durch ihre Einschätzung der Situation können Sie selbst mit beeinflussen, welches Gefühl letztendlich bei Ihnen entsteht. In diesem Zusammenhang geht es nicht um Selbstoptimierung bzw. darum, keine negativen Gefühle zuzulassen. Es geht darum, in Situationen, die ein Gefühl von Ohnmacht auslösen, das eigene Leben positiv zu beeinflussen und aktiv zu gestalten.
Wie bewertet man eine Situation?
In der Pandemie lässt sich die aktuelle Gefühlslage besser einordnen und sortieren, wenn man beobachtet, welche Bewertungen in einem hochkommen. Das benötigt etwas Übung. Mögliche Fragen könnten sein: Welche Gedanken hatte ich gerade? Welche Meinung habe ich mir gebildet? Welche (früheren) Überzeugungen sind wieder aufgetaucht?
Ein nächster Schritt könnte sein: Gibt es noch andere (positivere) Sichtweisen? Will ich festgefahrene Überzeugungen aufgeben? Wie habe ich frühere Situationen gemeistert? Kenne ich jemanden, der eine überzeugendere Art hat, die Situation zu meistern? Wie würde diese Person meine Situation bewerten und entsprechend handeln?
Es kann auch hilfreich sein, nach Informationen Ausschau zu halten, die nicht der bisherigen eigenen Meinung entsprechen um dann zu entscheiden, auf welche Bewertung man sich aktuell konzentrieren möchte.
All diese Gedanken können die psychische Widerstandskraft (Resilienz) fördern, d.h. die Eigenschaft, mit belastenden Situationen umgehen zu können. In welcher Weise Menschen mit der gegenwärtigen Lage emotional umgehen, das wird unterschiedlich bleiben und das ist gut so. Denn jeder sollte selbst entscheiden können, ob die eigene Bewertung der Situation für ihn stimmig und passend ist.