Können Staatsschulden sinnvoll sein?

Teile diesen Beitrag

Das Ideal, keine Staatsschulden zu machen und die bereits bestehenden Schuldenberge in voller Höhe zurückzuzahlen, ist für viele Staaten eine wenig wünschenswerte Utopie. Auf die Frage an Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble, wann Deutschland seine Staatsschulden abzahlen wolle, sagte dieser lapidar: “Hoffentlich nie”. Durch solche Antworten sehen sich viele brave Steuerzahler vor den Kopf gestoßen. Sie werfen dem Staat Verschwendungssucht und Schuldentreiberei vor und sehen ihn bereits am Rande eines Bankrotts. Die überwundene Finanzkrise Griechenlands schürt zusätzliche Ängste.

Warum sind Staatsschulden wichtig?

In der Politik herrscht die Ansicht vor, dass ein Land mit stabiler Wirtschaft Schulden machen könne und müsse. Zwischen 1948, als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg letztmalig schuldenfrei war, und heute liegen also Welten. Größere Investitionen des Staates in Infrastruktur oder dringliche Projekte – beispielsweise durch unerwartete Ereignisse wie den Fall der Mauer oder die Flüchtlingskrise – werden heutzutage durch Kredite finanziert. Abbezahlt werden nur die Schuldzinsen – und bei guten Einnahmen auch etwas mehr. Das klingt nach einem guten Geschäft für den Staat – und das ist es auch. Ohne Staatsverschuldung könnte der Staat nicht mit millionenschweren Investitionen in Vorlage gehen, sondern müsste das notwendige Kapital dafür erst zusammensparen.

Entscheidend für die Größenordnung, in der ein Staat verschuldet sein darf, ist die Schuldenquote. Darunter wird der Anteil der Staatsschulden verstanden, der das Bruttoinlandsprodukt betrifft. Schulden und Wirtschaftsleistung stehen also in einem Zusammenhang. Beide sind beeinflussbar bzw. steuerbar. Die deutsche Schuldenquote von derzeit 68,1 Prozent ist zwar deutlich höher, als sie vor der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands war. Damals betrug die Schuldenquote nur die Hälfte. Die brummende Wirtschaft allerdings rechtfertigt in den Augen der Wirtschaftslenker die hohen Staatsschulden. Das könnte allerdings zum Bumerang werden. Denn das momentane Wirtschafts-Hoch beruht auf für stabil gehaltenen Faktoren, die der neue US-Präsident gerade ins Wanken bringt.

Wer über seine Verhältnisse lebt und sich darauf verlässt, dass die derzeitige Wirtschaftslage so stabil bleibt, wie sie momentan ist, denkt möglicherweise falsch. Beispielsweise, weil aus den derzeitigen Staatsschulden Kosten herausgerechnet werden, die wahrscheinlich irgendwann anfallen werden. Beispielsweise, weil anderen Staaten dadurch wirtschaftliche Nachteile entstehen. Auf der anderen Seite beeinflussen Staatsschulden aber auch das Kapitalmarktgleichgewicht und die Zinspolitik. Sie sind also durchaus wichtige Instrumente.

Warum sind hohe Staatsverschuldungen eine Katastrophe?

Die berühmte schwarze Null Schäubles diente dazu, den Staat ohne eine Neuverschuldung auskommen zu lassen. Real gesehen werden aber links Kreditzinsen abbezahlt und rechts neue Kredite in gleicher Höhe aufgenommen. Zu den Billionen, die bereits an Staatschulden existieren, werden nur statistisch gesehen keine weiteren Kreditaufnahmen addiert. Das nützt nur nichts, wenn die ausstehende Schuldensumme so hoch ist wie in den USA oder in Deutschland. Die Gläubiger eines Staates dürfen erwarten, dass Kredite irgendwann zurückgezahlt werden.

2004 entfielen 11 Prozent der deutschen Staatsausgaben auf fällige Zinsabzahlungen. Wer die Gläubiger Deutschlands sind, ist ein Staatsgeheimnis. Das unterliegt dem Bankgeheimnis. Wir erfahren lediglich, dass die Kreditgeber Kreditinstitute, Nicht-Banken und ausländische Geldgeber sind. De facto gehört Deutschland mit Staatschulden von fast zwei Billionen Euro nicht mehr sich selbst. Damit liegt Deutschland aber im Mittelfeld aller EU-Länder. Der Brexit könnte das ändern. Im Mittelfeld der angehäuften Staatsschulden wird Deutschland trotzdem bleiben. Die höchste Staatsverschuldung hat derzeit Griechenland zu vermelden, die niedrigste Estland.

Eine Schuldenbremse wie die „Schwarze Null“ ist schon deshalb notwendig, weil künftige Generationen sonst auf einem wachsenden Schuldenberg sitzen. Ändert sich die weltwirtschaftliche Lage zu Ungunsten Deutschlands oder der EU, kann das für Deutschland kritisch werden. Denn die politischen und wirtschaftlichen Spielräume hängen vom Wohlwollen der Gläubiger ab. Bei hohen Staatsschulden sind die Spielräume eng bemessen. Sie werden durch Zins- und Tilgungsverpflichtungen begrenzt. Außerdem bewirkt eine hohe staatliche Kreditaufnahme, dass private Kredite zunehmend verdrängt werden oder privat finanzierte Investitionsleistungen nicht mehr stattfinden. Das wiederum hat Einfluss auf den Konsum und das Wirtschaftswachstum.

Als Gegenmittel gegen die zunehmende Staatsverschuldung hat die EU den Stabilitäts- und Wachstumspakt installiert. 2009 hat Deutschland zusätzlich die Schuldenbremse ins Grundgesetz eingebaut. Schlagworte wie “Haushaltskonsolidierung” oder “Nachhaltigkeit” machen die Runde. Dahinter steht das Bewusstsein, dass die Schuldenquote nicht endlos ansteigen darf, sondern sinken muss oder zumindest stabil gehalten werden sollte. Doch der japanische Staat mit einer gigantischen Schuldenquote von 200 Prozent macht uns vor, wie eine erfolgreiche Refinanzierung trotzdem gelingen kann. Im Gegensatz dazu dümpelt Irland mit einer relativ geringen Staatsverschuldung und 60 Prozent Schuldenquote am Rande des Ruins entlang.

Schuldensummen vermitteln nicht die ganze Wahrheit

Zahlen sind also nicht alles, was zählt, wie man an den Beispielen von Japan und Irland sehen kann. Es ist vielmehr die Wirtschaftskraft, die hohe Schuldenberge verkraftet oder nicht. Der Finanzmarkt schaut auf die Wirtschaftsleistung und die zu erwartenden Primärüberschüsse. Der Ruf, dank mauer Wirtschaftsleistung in eine Zahlungsunfähigkeit zu rutschen, ruiniert hingegen auch die Kreditwürdigkeit. Die Kreditzinsen steigen und damit auch die Kosten für Investitionen.

In Deutschland wird versucht, die optimale Kreditlinie zu fahren und ohne staatliche Neuverschuldung auszukommen. Ausgaben werden gedeckelt oder durch Umverteilung oder Wirtschaftsüberschüsse refinanziert. Der Nutzen aller mit Krediten getätigten Investitionen muss höher sein als die Kosten, die die Verschuldung mit sich bringt. Man bedenkt außerdem, dass die Staatsverschuldung antizyklisch verlaufen sollte. Das stabil gehaltene Verhältnis zwischen den bestehenden Staatsschulden und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist eine relevantere Aussage als die aufgelaufene Schuldensumme.

Teile diesen Beitrag
Standardbild
TheMan
Dieser Artikel kann keinem genauen Autor zugeordnet werden. Aus diesem Grund wird er unter "TheMan" veröffentlicht. Dies kann mehrere Gründe haben, entweder war es eine Arbeit von mehreren Autoren gemeinsam oder es ist ein Gastbeitrag bei dem der Autor nicht genannt werden will. Dennoch ging auch dieser Artikel durch unsere strenge Qualitätskontrolle und steht den Artikeln eines einzelnen Autors in keiner Weise nach.
Artikel: 96