Europa – eine Herzensangelegenheit

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Europa ist eine Erfolgsgeschichte

Vor rund sechzig Jahren, am 25. März 1957, unterschrieben Belgien, Frankreich, Westdeutschland, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Union. Und eine Studie zeigte, dass die Bürger weltweit auch Grund zum Feiern dieses Jubiläums sehen. 53% der Befragten denken, dass die EU Europa stärker gemacht habe.

Trotz aller Krisen ist Europa immer noch die Antwort der Demokratie und des Friedens auf eine Geschichte des Kriegs und der Gewalt. Europa hat mehrere Gesichter: erstens ist es eine Erfolgsgeschichte von 1945 bis heute, das zweite Gesicht ist Pragmatismus – neues Scheidungsrecht, Patentrechtentwicklung, Hygienevorschriften für Restaurants etc. – und das dritte das der Krise. Aber unter dem Druck der Krise hat ein Lernprozess stattgefunden, alle 2-3 Monate wurde ein Reformschritt vollzogen. Das sind die positiven Elemente der Krise. Der Politologe Werner Weidenfeld sagte in einem Interview, dass es das größte Problem sei, dass über 70% der europäischen Mitbürger all die Ereignisse nicht verstehen und was in welcher Weise zusammenhängt. Wenn man ein solches Erklärungsdefizit habe, dürfe man sich nicht wundern, dass sich ein großer Markt ergibt, wo man mit ein paar Slogans abräumen kann. Das wäre ein Schlüsselproblem, das uns zeigen würde, dass die Baustelle Europa eine geistige Ordnung brauche, denn das Deutungsdefizit sei das ernsthafteste Problem, das wir in Europa haben. Denn sobald man etwas versteht, bedrängt es einen nicht mehr.

Im Alltag kann der Europäer in einer globalisierten Welt Europa als stabile Ordnung erleben, denn die Globalisierung habe einen neuen Druck aufgebaut, zu einer Größenordnung zu finden, die mitagieren kann. Mit 500 Millionen Europäern ist Europa eine solche Größenordnung. Zudem ist Europa ökonomisch erfolgreich und vermittelt den Bürgern Sicherheit. Heutzutage hat derjenige die Macht, der diese komplizierten Sachverhalte deuten und erklären kann. Eine interessante Herausforderung für die Politiker in der Zukunft – erstaunlich, dass sich nicht mehr dieser Aufgabe annehmen!

Emmanuel Macron – der Präsident für pro-europäische Politik

Bei einer Debatte über die Zukunft Europas hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Herbst letzten Jahres an der Frankfurter Goethe-Universität eine „Koalition des guten Willens“ gefordert, eine Absage an Rechtspopulismus und Fremdenhass und ein Bekenntnis zu europäischen Visionen. So will er die Identität Europas stärken. Er rief die Studenten auf, sich wieder stärker mit dieser zu befassen, aber im Zuge dessen die Bereiche Kultur und soziale Gerechtigkeit nicht zu vernachlässigen. Kultur ist seiner Ansicht nach ein Bindemittel! Seiner Meinung nach habe Europa in den letzten Jahren etwas den Faden verloren und im östlichen Europa gebe es Versuche, Europa ein wenig umzukrempeln, meinte er in Anspielung auf die Entwicklungen in Polen und Ungarn. Ein „Wegeplan für Europa“ sei notwendig!

Nicht nur in Frankreich sei der Zugang zu Kultur und Bildung ein Gegenmittel zur Radikalisierung junger Muslime. Ebenso sei bei der Bekämpfung von islamischem Terrorismus die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Nachrichtendienste eine europäische Aufgabe, sagte er in einer Debatte mit dem deutsch-französischen Politiker Daniel Cohn-Bendit und dem Islam-Experten Gilles Kepel. Erziehung und eine gute Ausbildung seien ein Gegenmittel, da ein gut ausgebildetes Kind aus einer  glücklichen Familie nicht zum IS gehe.

Darüberhinaus kritisierte er, dass viele junge Menschen aus Einwandererfamilien in den armen Stadtteilen in der Vergangenheit alleine gelassen worden seien. Er glaube an Reformprojekte für soziale Mobilität. Der Zugang zu Fremdsprachen müsse auch für Jugendliche aus benachteiligten Vierteln gewährleistet sein. „Jeder junge Mensch, egal, wo er geboren ist, muss Zugang zur französischen Literatur, zu Goethe und Beethoven haben – das ist Exzellenz!“

Ebenso wie bei seiner Ansprache an der Sorbonne, plädierte Macron für europäische Hochschulen, für die Mobilität einer polyglotten jungen Generation, Austauschprogramme alleine würden da nicht ausreichen. „Ich glaube an diese Vitalität, und ich möchte, dass diese Bewegung auch in Deutschland entsteht“, sagte er zum Abschied zu den Studenten.

Wie entstand „Pulse of Europe“ ?

Es sind immer einzelne Menschen, die initiativ werden, eine Bewegung impulsieren  – das läßt sich selten planen und man ist überrascht über die Wirkung, die da plötzlich in Gang gesetzt wird. So erging es auch den „Pulsgebern“ Sabine und Daniel Röder aus Frankfurt, von Beruf beide Juristen und Mediatoren. Sie sahen, bedingt durch ihr aufmerksames Beobachten der politischen Ereignisse – die Briten hatten sich für den Brexit entschieden, die US-Amerikaner wenige Monate später Donald Trump zum Präsidenten gewählt – Europa in Gefahr, wollten nicht tatenlos zusehen und fassten deshalb den Entschluss für Europa auf die Straße zu gehen.

In der Nacht von 8. auf 9. November 2016 entschied sich Daniel Röder Mails an Freunde und Bekannte zu schreiben: So fing alles an…

Was im Dezember 2016 als Happening begann, entwickelte sich wie ein Schneeballsystem rasant weiter. Bereits im Frühjahr 2017 besuchten rund 6000 Teilnehmer die Kundgebungen der pro-europäischen Bewegung, die stets am Sonntag stattfanden, in der Innenstadt von Frankfurt. In mehr als 30 weiteren Städten, in Paris und Amsterdam, in Warschau und Wien, folgten ihnen Tausende. Mittlerweile finden sie in 134 Städten in 20 Ländern statt.

Pulse of Europe“ ist das bürgerliche Bekenntnis zum europäischen Einheitsgedanken: Der europäische Gedanke, der Frieden soll wieder stärker ins Bewusstsein rücken und somit eine Vertiefung der Zivilgesellschaft bewirkt werden. Es soll zunächst einmal nicht das Konstrukt der EU und der Euro im Vordergrund stehen.

Daniel Röder formulierte es folgendermaßen: „Wir demonstrieren für etwas, wir protestieren nicht gegen etwas.“ Sabine und Daniel Röders Intention ist es, ein Zeichen zu setzen, eine Emotion auszulösen, auf jeden Fall etwas Konstruktives zu schaffen, denn Europa darf nicht scheitern! Die nationalistischen Tendenzen, die in verschiedenen Ländern drohen, wieder an Einfluss zu gewinnen, müssen energisch eingegrenzt werden. Kritiker warfen der Bewegung allerdings vor, zu harmlos zu sein, dass keine konkreten  Forderungen gestellt würden und dass es kein politisches Programm gäbe.

Die Politiker sind von der Bewegung sehr angetan: Merkel äußerte sich wohlwollend, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Bewegung in seiner Antrittsrede und Cem Özdemir wollte den beiden in nichts nachstehen. Öffentliche Stellungnahmen von „Pulse of Europe“ sollen lediglich dazu dienen, der Politik ein bißchen mehr auf die Finger zu klopfen. Die konkreten Reformen sollen diejenigen übernehmen, die dafür zuständig sind, sagt Sabine Röder.

So ist „Pulse of Europe“ eine Bewegung, die in Krisenzeiten wieder den Fokus auf den Gedanken, die Idee richten will, die Europa eigentlich zugrunde liegt – sie leistet eine Erkenntnisarbeit, die unendlich wichtig und nicht zu unterschätzen ist, denn Europa ist eine Herzensangelegenheit!

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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