Christian Lindner – wie der liberale Politiker polarisiert

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Der Hoffnungsträger der FDP ist jung, dynamisch und verfügt über eine überdurchschnittlich gute, sehr brillante Rhetorik, die es ihm sogar ermöglicht, Reden frei zu halten. In diesen gelingt es ihm auch mit seinem ausgesprochen umfangreichen Wissen zu beeindrucken. Er selbst sieht sich gerne in einer Liga mit Politikern wie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.

Zahlreiche Menschen konnte er für sich gewinnen und begeistern und es ist ihm gelungen, die FDP mit beachtlichen 10,7% (2013: 4,8%) wieder in den Bundestag zu führen.

Mit seinem Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen hat er jedoch polarisiert und ist bei vielen seiner Anhänger auf Unverständnis gestossen. Diesen Schritt versuchte er danach in diversen Interviews zu rechtfertigen und zu erklären, allerdings in einer Art und Weise, die in letzter Konsequenz nicht überzeugend war. Unter anderem sagte er, dass es ihm und der FDP immer um Inhalte und nicht um Posten gegangen sei, ließ in einem anderen Gespräch jedoch durchblicken, dass er sich durchaus für einen Ministerposten interessiert hätte: „Vielleicht wäre ich auch gerne selbst Finanzminister geworden, wenn die politischen Ziele gestimmt hätten.“ Für seinen Ausstieg aus der Jamaika-Koalition nannte er mehrere Gründe und behauptete, dass Jamaika „von Anfang an von inneren Fliehkräften und Streit bestimmt gewesen wäre“. Bemerkenswert ist, dass er im Rückblick oft gerne im Konjunktiv spricht, eine Tatsache, die einen hellhörig machen sollte, vor allem auch hinsichtlich seines Lieblingsslogans „Glaubwürdigkeit und Seriosität“.

Wer ist eigentlich Christian Lindner?

Die FDP war viele Jahre diejenige Partei, die gerne vom gehobenen Mittelstand gewählt wurde bzw. von denjenigen Menschen, die es als notwendig erachteten, dass es zwischen den beiden großen Parteien noch eine ausgleichende Mitte gab.

Nach ihrer Gründung im Dezember 1948 bildete die FDP zusammen mit der CDU ab 1949 die erste Koalitionsregierung der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 1969 bildete sie dann erstmals mit der SPD die Regierung in der sozialliberalen Koalition und war in den Folgejahren bis 1998 ununterbrochen an der Regierung beteiligt. Erst 2009 konnte die FDP nach elfjähriger Pause wieder eine Koalition in der Regierung bilden. Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle war in dieser Zeit auch Außenminister der BRD. CDU/CSU und SPD hatten sich seit 2005 auf eine Große Koalition geeinigt. Nach den Bundestagswahlen 2013 schied die FDP sowohl aus der Bundesregierung als auch – aufgrund der verpassten 5%-Hürde – aus dem Bundestag aus. Im gleichen Jahr wurde der 34-jährige Christian Lindner, der die Absicht hatte, die Partei von der Basis her neu aufzubauen, zum neuen FDP-Parteivorsitzenden, dem jüngsten in der Geschichte der FDP, gewählt.

Christian Lindner wurde am 7. Januar 1979 in Wuppertal, wo seine Großeltern eine Bäckerei hatten, geboren. Seine Eltern trennten sich früh und er wuchs bei der Mutter in Wermelskirchen, einer Kleinstadt im Grünen, nordöstlich von Köln, auf. Schon in jungen Jahren liebte er es zu argumentieren und seine Rhetorik zu schulen. So war sein erstes gewähltes Amt das des Schülersprechers am Städtischen Gymnasium Wermelskirchen. Seine ausgeprägte Diskussionsfreude verschaffte ihm bei seinen Lehrern allerdings nicht nur Sympathien. Bereits damals interessierte er sich für Philosophie und Politik. Darüberhinaus war es ihm ausgesprochen wichtig, möglichst früh selbstständig zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen – mit eigener Wohnung und eigenem Auto. So meldete er früh ein eigenes Gewerbe an um sich seine Träume auch finanzieren zu können. Daraus entwickelte sich bald eine kleine Werbeagentur insbesondere für regionale Telefongesellschaften.

Seinem politischen Interesse folgte auch bald Engagement – nach gründlicher Prüfung der verschiedenen Parteiprogramme sowie der Parteien vor Ort entschied er sich, seinem Lebensgefühl entsprechend, für die Freien Demokraten. Da es keine Jugendorganisation vor Ort gab, gründete er zusammen mit ein paar Freunden die Jungen Liberalen in Wermelskirchen, 1998 kandidierte er für den Landesvorstand der FDP in NRW und wurde zu seiner eigenen Überraschung sofort gewählt.

Mit zwei Freunden und einem privaten Risikokapitalinvestor gründete er Mitte 2000 ein zweites Unternehmen -Momaxx-, dem jedoch aus vielerlei Gründen kein Erfolg beschieden war; Ende 2001 mußte das Unternehmen Insolvenz anmelden. Das Scheitern als neue Chance ist ein Thema, das ihn bis heute beschäftigt. Nach dem Abitur absolvierte er seinen Zivildienst, später  bewarb er sich bei der Freiwilligenarmee für die Reserve der Bundeswehr und ist heute Hauptmann der Reserve in der Luftwaffe. Parallel zu Beruf und politischer Tätigkeit studierte er von 1999-2006 Politikwissenschaft, Staatsrecht und Philosophie. Seine akademischen Lehrer waren u.a. Frank Decker und Udo di Fabio.

Als jüngster Abgeordneter wurde er im Jahr 2000 in den Landtag in Nordrhein-Westfalen gewählt, wo er dann über 9 Jahre für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik parlamentarisch tätig war. Es folgte 2004 die Zeit als Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen, später, im Jahr 2009 der Einzug in den Bundestag.

FDP

Für die FDP kam es im September 2013 jedoch zu einer historischen Zäsur: sie schied aus dem Deutschen Bundestag aus. Am Tag nach der Niederlage erklärte Christian Lindner seine Kandidatur für den Parteivorsitz; er wurde im Dezember zum Bundesvorsitzenden gewählt. Vier Jahre später, am 24. September 2017, gelang es der FDP mit einem Ergebnis von 10,7 Prozent wieder in den Bundestag einzuziehen.

Nach wochenlangen Sondierungsgesprächen ist Jamaika nun gescheitert, Grüne und Union sind geschockt und allenthalben herrscht große Ratlosigkeit: Warum hat die FDP die Verhandlungen beendet? Aus Sicht der FDP waren noch 237 Punkte strittig, Angela Merkel hingegen sah die Einigung zum Greifen nah – Fragen über Fragen. Die Verantwortung für das Scheitern wird jedoch eindeutig der FDP zugeschrieben, zumal auch bei vielen Menschen Konsens besteht, dass sie Jamaika nicht nur aus inhaltlichen Gründen platzen ließ. Christian Lindner war nach diesem Schritt zu keinerlei Gesprächen mehr bereit: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Die Liberalen haben mit diesem Abbruch hoch gepokert und müssen sich nun die Frage gefallen lassen, ob sie eine Partei sind, die sich nichts gefallen läßt oder politisch nicht aktiv werden will – zwei dominante Bilder, die sich in Zukunft einprägen werden, ebenso wie die Tatsache, dass sie sich als Partei verweigern und ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Laut der Aussage von Christian Lindner hätten die vier Parteien keine gemeinsame Idee gehabt und somit eine Vertrauensbasis schaffen können.

Christian Lindner verfolgt hier eine gefährliche Strategie und bewegt sich auf brüchigem Boden: immerhin war die FDP kurz davor, in die Regierung eintreten und einen Teil ihrer Ideen auch umsetzen zu können und hätte sich weiterhin nicht nur mit Appellen begnügen müssen. Lindner begründet seinen Ausstieg unter anderem damit, dass er die „Glaubwürdigkeit der Partei“ zu wahren hätte.

Laut den aktuellen Umfragen haben die FDP und ihr Chef Christian Lindner nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche deutlich an Zustimmung verloren – sollte sich jetzt doch eine Große Koalition bilden, bleibt abzuwarten, welche Rolle die FDP in Zukunft einnehmen und wie sich Christian Lindner positionieren wird – er liebt es, alles unter Kontrolle zu haben, aber er selbst läßt sich ungern in die Karten schauen, was ihn bis zu einem gewissen Grade auch unberechenbar macht!

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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