Ennio Morricone

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„Wer die Stille ehrt, kann Klänge schaffen.“

Ennio Morricone

 „Ich arbeite nur mit Regisseuren zusammen, für die ich Freundschaft und Achtung empfinde.“

Diesem Motto ist Morricone ein Leben lang treu geblieben und er hatte es sich auch zum Prinzip gemacht, dass er sich nie selber anbot, die Musik zu einem Film zu komponieren, sondern immer abwartete, bis er gebeten wurde.

Nur wenige Menschen können von sich behaupten, schon in ganz jungen Jahren ihre Lebensaufgabe gefunden zu haben. Bei Ennio Morricone war dies der Fall, denn schon im Alter von gerade einmal sechs Jahren erkannte sein Vater bereits das herausragende, vielversprechende Talent.

Am 10. November 1928 erblickte Morricone in Rom, der Stadt am Tiber, im Stadtteil Trastevere, das Licht der Welt. Sein Vater Mario Morricone war Trompeter und merkte sehr schnell, dass der Sohn seine musikalische Begabung geerbt hatte. Bereits mit sechs Jahren komponierte Ennio seine ersten Stücke, mit 12 schickten ihn die Eltern aufs Konservatorium, wo er zunächst auf Rat des Vaters ein Trompetenstudium absolvierte. Der Vater war in der Lage, mit dem Trompetenspiel seine Familie gut zu ernähren. Ennio hätte sich das allerdings nicht ausgesucht, denn sein Herz brannte für das Komponieren, was zur Folge hatte, dass er auch das vierjährige Kompositionsstudium absolvierte und das in nur der Hälfte der Zeit – ein Naturtalent.

Im Anschluss an die Ausbildung verdiente sich Morricone seinen Lebensunterhalt zunächst als Jazztrompeter in Nachtclubs bevor er beim Theater und in der Plattenbranche Aufträge bekam, bis er schließlich eine Stelle als Musikassistent beim italienischen Fernsehsender RAI Televisione antrat – dort arrangierte er unter anderem Songs für den berühmten Tenor Mario Lanza, dem bekanntesten Opernsänger in den 1950-er Jahren.

Vielleicht ist Morricone in dieser Zeit auch auf die Idee gekommen Filmmusik zu schreiben, aber er bewarb sich aus Prinzip nicht in der Filmindustrie, denn er war der Überzeugung, dass ein Regisseur ihn bitten müsse, weil er glaubt, dass das, was er schreibe, gut ist.

Und so geschah es, dass ein Regisseur ihn ansprach und in der Folge viele weitere. Der internationale Durchbruch kam schließlich 1964 mit dem weltberühmten Soundtrack zu Sergio Leones „Eine Handvoll Dollar“ mit Clint Eastwood in der Hauptrolle.

Sergio Leone und Ennio Morricone waren gemeinsam in die Schule gegangen und der alte Schulfreund gab auch die Filmmusik für „Zwei glorreiche Halunken“ (1966) und „Spiel mir das Lied vom Tod“ bei ihm in Auftrag. Die Western schrieben Filmgeschichte, was nicht zuletzt ein Verdienst von Morricones unvergleichlicher Musik ist, denn er war in der Lage mit seiner Musik Dinge auszudrücken, die sonst in Bildern hätten dargestellt werden müssen.

Kurz vor seinem 90. Geburtstag sagte Morricone einmal, dass man ihn stets nur mit sieben Filmen in Verbindung gebracht hätte, die er für den „Spaghetti Western“-Regisseur Sergio Leone geschrieben hat, dabei habe er in seiner Karriere die Musik für mehr als 500 Filme komponiert.

Dank seines Ideenreichtums klopften die Besten der Filmzunft bei ihm an, darunter auch Quentin Tarantino. Dieser berühmte Regisseur bemühte sich sehr um Morricone, aber auch er musste sich an Morricones Regeln halten: „Ich muss die endgültige Fassung des Films sehen, bevor ich auch nur über die Musik nachdenken kann, geschweige denn sie schreiben.“

Lange Zeit hat Ennio Morricone darunter gelitten, bedingt durch seine profunde Ausbildung, beim Film nur „Sklave der Bilder“ zu sein, obwohl es der Weg war, den er selbst eingeschlagen hatte.

Dabei sah er sich eigentlich als Avantgardist. Sein Lehrer am Konservatorium von Santa Cecilia, Goffredo Petrassi, war Präsident der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und beeinflusst von der Wiener Schule. Morricone selbst besuchte 1958 die „Darmstädter Ferienkurse“, zu dieser Zeit das Mekka der Neuen Musik – in Theorie und Praxis prägend waren Komponisten wie Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen. Morricone machte sich Notizen, hörte zu, arbeitete nach seiner Rückkehr in Italien aber auch als Arrangeur fürs Radio sowie im Bereich der Pop-Unterhaltung. Da er frisch verheiratet war und die Familie dringend Geld brauchte, das mit Avantgarde allerdings nicht zu verdienen war, schob Morricone den Künstler beiseite und konzentrierte sich auf das Handwerk. Die Zusammenarbeit mit Sergio Leone und Bernardo Bertolucci ermöglichte es ihm schließlich, all seine Fähigkeiten und Interessen miteinander zu vereinen.

Aus Morricones Sicht durften sich Avantgarde und Volksmusik vermischen, d.h. in dieser Hinsicht war er ein innovativer Gleichmacher – entscheidend für ihn war dabei die Wirkung. Man kann ihn durchaus in eine Reihe stellen mit Komponisten, deren Intellektualität so unzweifelhaft gewesen ist wie ihre Massenkompabilität: George Gershwin oder Kurt Weill.

Seine Frau Maria Travia war seine schärfste Kritikerin: sie hörte seine Werke zuerst und nicht selten, so Morricones eigene Aussage, revidierte er danach die Anlage des Stücks.

Am Ende seines Lebens ließ sich Morricone noch von Quentin Tarantino überreden, einen Soundtrack für dessen Film „The Hateful Eight“ zu komponieren und für diesen Film bekam er mit 87 Jahren auch endlich den begehrten Oscar – einen Film, dessen verschneite Landschaften er stimmungsvoll in Szene gesetzt hatte. Aber auch für diesen berühmten Regisseur galten die stringenten Regeln des Maestros: „Ich muss die endgültige Fassung des Films sehen, bevor ich auch nur über die Musik nachdenken kann, geschweige denn sie schreiben.“

2007 hatte er bereits einen Oscar in den Händen gehalten, jedoch nicht für eine Filmmusik, sondern für sein Lebenswerk. Aber auch weitere Trophäen darf er für sich in Anspruch nehmen: sechs BAFTAs, zehn David Di Donatellos, drei Golden Globes, einen Grammy Award sowie zwei Europäische Filmpreise.

Er sagte, dass im Filmbereich die Musik nicht nur ihm, sondern auch dem Publikum gefallen solle. Zudem müsse er sich mit den Ideen der Regisseure messen, das sei eine große Verantwortung. Morricone schaffte es, Filmmusik von einer dienenden Begleitung der Bilder zu lösen und in den Vordergrund zu bringen. Seine Musik verschmilzt mit dem Schnitt – die Geschwindigkeit des Films wird durch das Tempo beider Elemente bestimmt.

Morricone legte Wert auf klassische Techniken. Von Computern und digital inszenierter Musik hielt er nichts. Er arbeitete mit Stift, Papier und echten Instrumenten. Bei der Musik selbst war er experimentierfreudiger; allerdings befürchteten die Filmemacher dann schlechte Auswirkungen auf die Verkaufszahlen.

Morricone kombinierte in seinen Stücken Klassik, Rock- und Popmusik mit Geräuschen wie zum Beispiel Uhrenticken und schuf damit unvergessliche Ohrwürmer. Damit wurden der Komponist und seine Musik legendär: fast jeder kennt die Melodie der jaulenden Mundharmonika aus dem finalen Duell in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Unermüdlich produzierte Morricone seine Stücke. So sind es über die Jahre über 500 Filmmusiken geworden.

Dennoch war die öffentliche Anerkennung, die Morricone seit den 70er Jahren genoss, ihm nicht genug. Immer wieder klagte er, dass ein wesentlicher Teil seines Werkes verkannte werde und man schätze ihn nur als Gebrauchskünstler, nicht als modernen Komponisten. Das ist ungerecht. Die Filmmusik ist der wesentliche Teil von Morricones Werk, weil sie alle Facetten seines anpassungsfähigen Talents vereint. In einem Interview sagte er selbst einmal: „Da ist alles drin, Pop, Rock, Volksmusik, absolute Musik, abstrakte Musik, Zwölftonmusik…im Kino ist alles enthalten.“

Für das Kino war Morricone der ideale Komponist, weil er wie das Medium selbst alles in sich aufnahm. Sein einziges Problem war, dass es nichts gab, was er nicht konnte.

Die intensive, kongeniale Zusammenarbeit zwischen Sergio Leone und Morricone muss man als eine Beziehung zweier Menschen, die durch ihre Arbeit untrennbar miteinander verbunden waren, betrachten. Durch Morricones Musik werden die Bilder von Leones Western auf eine andere Ebene getragen. Die beiden verstanden intuitiv die Absichten des jeweils anderen. Durch den Regisseur wurde den musikalischen Themen der Raum gegeben, den sie verdienten, wurde auch mal zugelassen, dass ein Musikinstrument in die Handlung integriert wurde, da Morricone selten Hintergrundmusik schrieb.

All diese Faktoren führten dazu, dass die beiden Namen Leone und Morricone untrennbar miteinander verbunden sind. Leone selbst nannte diese Verbindung zwischen den beiden einmal eine Art unfreiwillige Heirat.

Doch man täte Morricone Unrecht, wenn man ihn lediglich auf Western-Soundtracks reduzieren würde. Er selbst sagte einmal, dass nur 30 Filme, an denen er gearbeitet habe, Western seien. Alle anderen gehören einem anderen Genre an, wie zum Beispiel Bertoluccis „Novecento“, Tornatores „Cinema Paradiso“ oder Joffés „Le Mission“.

Die Filmmusik von Morricone ist fast immer ungewöhnlich, eine Art Collage verschiedener Stilrichtungen und Epochen, sowohl eingängig als auch tiefgründig.

Aber immer wieder scheint in Morricones Filmmusik auch der „andere Morricone“ durch, der experimentelle Musiker, der in den 1950er- und 1960er-Jahren zur italienischen Avantgarde gehörte. Er war Teil der Improvisationsgruppe Nuova Consonanza, befasste sich mit der Zwölftonmusik und war beeinflusst von Luigi Nono und John Cage.

Und auch in der Filmmusik verwandte Morricone serielle Techniken. In seinen kammermusikalischen Werken spielen sie teilweise sogar eine wichtigere Rolle, denn mit moderner Musik hatte Morricone nie Berührungsängste.

Morricone war Perfektionist. Er dachte in Tönen und er sagte, dass alles in seinem Kopf entstehe: „Ich denke nach – ich benutze das Klavier nicht. Ich denke nach und sitze am Schreibtisch und schreibe. Das Klavier benutze ich nur, um dem Regisseur vorzuspielen, was ich geschrieben habe. Manchmal auch für eine Kontrolle in einem Moment der Krise.“

Bis kurz vor seinem Tod setzte sich Ennio Morricone nicht zur Ruhe. Mit 90 Jahren ging er noch auf Abschiedstournee durch halb Europa. Er war ein begnadeter Komponist, ein Ausnahmemusiker, der sich nur selten Pausen gönnte. Er selbst sagte einmal, er komponiere eben so gerne. Das sei das Einzige, was er könne.

„Filmmusik braucht Raum, um sich entfalten zu können. Der Film muss der Musik Zeit geben, um sich zu entwickeln.“  

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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