„Nicht nur der tiefe Sinn hat Wert, auch die Oberfläche hat Wert. Auch das Leichte, das Spielerische. Denn das Leichte, Spielerische, das sieht man schon bei einem Gaukler, bei einem Clown, bei einem Tänzer, erfordert viel Training.“ Wolfgang Joop
Wolfgang Joop gehört neben Karl Lagerfeld und Jil Sander zu den großen Drei des Modedesigns. Seit vielen Jahren prägt er unter wechselnden Vorzeichen die internationale Modeszene, ein Mensch, der sich der Mode, der Kunst verschrieben hat, auch im fortgeschrittenen Alter noch lange nicht ans Aufhören denkt und Freude daran hat, sich immer wieder neu zu erfinden.
Kindheit und frühe Jahre
Die ersten Jahre seiner Kindheit verbringt er in einer nahezu barocken Idylle auf einem Bauernhof am Schlosspark Sanssouci, die er in wunderbarer Erinnerung behält: „Ich bin auf diesem Bauernhof eben in einer Großfamilie groß geworden. Mit Großeltern, Tanten und Onkels, Mägden, Knechten, so nannte man das damals, das hört sich heute beinahe barock an, aber so war das nun mal.“ Als der von ihm als sehr streng empfundene Vater, zu dem er ein kompliziertes Verhältnis hat, aus dem Krieg zurückkehrt – dieser war als vermeintlicher US-Spion lange in der Ostzone und der DDR inhaftiert gewesen -, zieht die Familie Anfang der 50-er Jahre nach Braunschweig, ein Umstand, der den kleinen Wolfgang sehr hart trifft und die Sehnsucht nach dem Ort seiner Kindheit wird stets in ihm lebendig bleiben bis sie im Alter auf unerwartete Weise gestillt werden kann. Heute lebt er mit seinem Lebensgefährten wieder auf Gut Bornstedt in unmittelbarer Nähe seiner Ex-Frau und den beiden erwachsenen Kindern und den Enkeln.
In all den Jahren, in denen er nicht auf Gut Bornstedt sein konnte und dort nur seine Ferien verbrachte, entwickelte er in besonderer Weise sein visuelles Gedächtnis um das Glück seiner Kindheit auf diese Weise zu bewahren. Am Sterbebett versprach er seiner Mutter, den Familiensitz eines Tages wieder zu übernehmen, was ihm nach der Wende, die damals niemand vorhersehen konnte, schließlich auch gelungen ist.
Auf Drängen seines Vaters begann Joop in Braunschweig zunächst ein Studium der Kunstpädagogik, das er jedoch abbrach, da er nicht die Absicht hatte, als Zeichenlehrer geistig zu verkümmern. Anschließend arbeitete er als Restaurator und betätigte sich als Maler und fälschte unter anderem auch Bilder Alter Meister. Instinktiv spürte er jedoch, dass die Provinz ihm bei der Entfaltung seiner Fähigkeiten, seines Potentials in keinster Weise gerecht werden würde.
Joop! – mehr als eine Marke
Mit Karin Benatzy tritt die Frau in Wolfgang Joops Leben, die es grundlegend verändert. Sie gründen eine Familie: zwei Töchter, Jette und Florentine, werden geboren. Durch Karin entdeckt er neue Wege in der Kunst und er lernt vor allem das Reich der Mode kennen.1968 gewinnen sie gemeinsam erste Designpreise. Auch nach der Scheidung und als Joop längst mit seinem Partner Edwin Lemberg zusammen ist, pflegen sie eine intensive Beziehung, von der Joop heute sagt, dass sie eine ganz eigene Prägung hat, die mit nichts zu vergleichen ist.
Seit 1971 zog er es vor, unabhängig zu arbeiten, zunächst als Designer und freier Journalist. Mit einer in New York vorgestellten Pelzkollektion am Ende der siebziger Jahre macht er sich schließlich weltweit einen Namen.
Aber es gibt auch noch andere Gründe, weshalb er seinen Beruf so liebt: „Ich kann mir widersprechen in diesem Beruf. Und das finde ich sehr gut. Ich bin ein Mensch, der sich selbst gern widerspricht. Denn wenn andere Leute mir sagen, ich habe meinen Stil gefunden, dann drohen sie mir immer mit Langeweile.“
Der endgültige Durchbruch gelingt 1987 in Hamburg mit der Reduzierung seines Namens auf vier Buchstaben mit einem Ausrufezeichen. Mit Kosmetik und Mode macht das Unternehmen JOOP! Millionen. Der junge Deutsche verwandelt sich innerhalb kürzester Zeit in eine Marke und – in einen schwerreichen Mann: als er seine Firmenanteile verkauft, ist er 150-facher D-Mark-Millionär.
Joop! wurde eine Erfolgsstory, ein erschwingliches Luxusprodukt, international begehrt mit 22 Lizenzen. Joop, der Kosmopolit, stand für den preußischen Modestil, wie immer man das verstehen mag.
Seit Jahrzehnten lebt er nun mit seinem Lebens- und Geschäftspartner zusammen, nachdem er sich als bisexuell geoutet hatte. „Ich bin nie allein gewesen und ich bin hochgradig dankbar, dass er da ist. Ich habe nie eine Woche allein verbracht. Und irgendeiner muss für mich der feste Pol sein, weil ich immer Reisender bin. Ich bin jemand, der eigentlich Vagabund ist.“
Er ist ein Vagabund zwischen seinen Wohnsitzen Monaco, New York und Potsdam. 30 Jahre nach dem Verkauf von „Joop!“ ist er immer noch im Modebusiness, jetzt allerdings unter dem Namen „Wunderkind“.
Nach dem Verkauf des Labels „Joop!“ erfand er „Wunderkind“, eine Modelinie, die er selbst als „Bobo“, „Bohemian Bourgeois“, charmant, absichtslos und ein bisschen sexy beschreibt.
Zusammen mit Edwin Lemberg gründete er 2003 in Potsdam das Label „Wunderkind“. Nach zahlreichen Schwierigkeiten war er schließlich alleiniger Gesellschafter und konnte im Mai 2012 ein Comeback starten. 2017 stieg er dennoch aus, denn er wollte das System nicht mehr bedienen: zweimal im Jahr eine große Show, endlose Castings und all die damit verbundenen Herausforderungen. Aus seiner Sicht wurde „Mode immer wichtiger als Selbstinszenierung“: eine Aufgabe, der er sich nicht mehr stellen wollte. Inzwischen gibt es „Wunderkind“ nicht mehr, die Firma ist pleite. Aber Joop ist ein Mensch, für den Aufgeben nie eine Option war. Er wendet sich wieder neuen Projekten zu. Wolfgang Joop hat viele Begabungen, er ist ein Mensch, der sich nicht festlegen läßt: Modeschöpfer, Maler, Bildhauer, Autor und es ist ihm gelungen, zu verschiedenen Zeiten diese auch zu entfalten und auszuleben – zudem befruchten und inspirieren sich all diese Strömungen auch gegenseitig. Nichtsdestotrotz hat die Mode immer einen ganz besonderen Platz in seinem Leben eingenommen.
Lapidar ausgesprochen, so sagt er, ist Mode dasjenige, was wir täglich anziehen; die schnelle Mode, die „fast fashion“ beherrscht unseren Alltag.
Die Mode spiegelt aber immer auch immer das Menschenbild einer bestimmten Zeit, stellt die Reaktion auf ein Bild dar, das wir sehen möchten. Mode ist Kunst, aber auch Business und Korruption. 2016 war es aus seiner Sicht in der Mode zu einem Stillstand gekommen: die Moderne hatte sich erledigt. Viele Designer stiegen aus der Branche aus, da sie nicht mehr in der Lage waren, dem Druck standzuhalten sowie permanent die Medien zu bedienen. Viele, zum Teil vielversprechende Talente, stiegen aus.
Die Mode hat die Aufgabe, so wie der Film und die Kunst, illusionäre Welten zu schaffen und zu befriedigen. In Joops Verständnis ist Mode deshalb eine Kunst, eine hohe Kunst, in der verschiedene Faktoren zusammenwirken müssen um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen: Team, Script, Casting.
Trotz aller Schwierigkeiten und Widerstände hat es sich Joop jetzt im Alter zur Aufgabe gemacht, dem Nachwuchs, der Jugend zur Seite zu stehen und ihr zu helfen ihr Potential zu entdecken.
Wolfgang Joop unter Spionageverdacht
Der Schmerz, die ungestillte Sehnsucht nach dem Ort seiner Kindheit, verführte Joop in den 80er Jahren zu einem speziellen Deal. Er sollte der DDR-Textilindustrie zeigen, welche Trends im Kommen sind, damit sich ihre Kollektionen besser auf dem Westmarkt verkaufen lassen.
Als Gegenleistung wurde ihm ein Halbjahresvisum für Reisen in die DDR angeboten, ein ausgesprochen verlockendes Angebot für Joop, da er doch ständig Heimweh nach dem Hof hat, wo er seine Kindheit verbrachte, denn endlich kann er, wann immer er will, die geliebte Heimat besuchen, ohne lästige Fragen und Visumsanträge.
Aus diesem Grund lässt er sich auf den riskanten Handel mit dem SED-Regime ein – eine ausgesprochen gefährliche Gratwanderung.
Nach dem Mauerfall werden die geheimen Stasi-Treffen aufgedeckt. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt 1991 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen ihn: ein Skandal, den die Medien begierig aufgreifen. Letztendlich wird das Verfahren zwar eingestellt, Joop ist jedoch tief verletzt, wendet sich enttäuscht von Deutschland ab und geht nach New York um von dort aus zu arbeiten. Erst nach 11 Jahren kehrt er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Edwin Lemberg nach Potsdam zurück.
Joop und James Bond – auch ein biografischer Faktor
„Goldfinger“ war 1964 Joops erster Bond-Film. Er lebte in Braunschweig und litt sehr unter der Kleinbürgerlichkeit seines Umfelds. James Bond nahm die Menschen mit auf die Reise, heraus aus dem Kleinen, hinein in das Große. Joop hatte zu dieser Zeit das Gefühl, als ob er persönlich in diesen Jetset eingeladen würde. Es war ein Vorgeschmack auf vieles, was er später auf seinen eigenen Reisen erleben sollte. Das Bond-Milieu im Kino war ein riesengroßer stilistischer Kontrast zu dem, was seinen Alltag bestimmte. Bond ist für Joop bis heute Inbegriff der Coolness.
Der Stil von Bond ist im Jahr 2020 deshalb so wichtig und zeitgemäß, weil wir gerade diese Schwemme von schlechten Anzügen erleben. Beim Betrachten dieser Modelle weiß man oft gar nicht, ob da noch irgendwo ein Mensch Arbeit geleistet hat.
Als Reaktion darauf sehnen sich viele nach Handgemachtem, Nachhaltigem, das man lange anziehen kann. Bond ist in vielerlei Hinsicht ein ewigkeitstauglicher Charakter.
Bornstedt: ein Kreis schließt sich
Joop ist an den Ort seiner Kindheit, an dem er so glücklich war, wieder zurückgekehrt: der Kreis schließt sich. Er ist nicht mehr der süße Wolfi, der so schön zeichnen kann, aber dafür ganz er selbst. In Bornstedt verbrachte er seine glücklichsten Kinderjahre…zwischen damals und jetzt liegt eine Weltkarriere: Hamburg, New York, Monaco, Joop mit Ausrufezeichen, all die Lizenzen, Jeans und Parfums, 2003 der Neustart mit Wunderkind, 2017 seine letzte umjubelte Show in Mailand. Er war in seinem Leben immer unterwegs, auf der ganzen Welt war er zuhause, aber Bornstedt ist der Endpunkt seiner Reise, der Kreis schließt sich. Dort sind seine Eltern begraben, er wird der Nächste sein.
Hier lebt er mit seinem Partner Edwin Lemberg. Seine Ex-Frau Karin und deren Mann leben nebenan, im Haupthaus lebt Tochter Florentine mit ihrer Familie, den drei Enkelkindern und auch die Zwistigkeiten mit Tochter Jette sind längst Vergangenheit.
Aber es geht weiter, no pain, no gain: eine große Kollektion mit van Laack, ein großes Hotel-Projekt ist in Planung. Er sagt: keine Spielerei mehr. Ich bin nicht mehr der süße Wolfi, der so schön zeichnen kann. Inzwischen habe ich begriffen, dass alles zum großen Puzzle geworden ist, und gelernt, mich mit den Augen der anderen zu sehen.“ Er kennt nur 30-jährige.
„Meine alte Sehnsucht nach diesem Ort ist weg, aber ich bin daheim! Und wer weiß, vielleicht finde ich ja hier meine Unschuld wieder.“
Wolfgang Joop, Karl Lagerfeld und Jil Sander – drei Persönlichkeiten, Individualitäten, die die Modewelt der vergangenen Jahrzehnte sehr geprägt haben: unverwechselbar, ausdrucksstark und dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend.