Noch einmal Frühlingsgefühle – Liebe im Alter

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Liebe und Sexualität im Alter zählte lange zu den Tabuthemen – beides schien ein Privileg der Jugend zu sein. 2008 wurde das Thema von dem Filmregisseur Andres Dresen mit dem Film Wolke 9 erstmals aufgegriffen und sorgte für lebhafte Diskussionen. 

Der Film dokumentierte im Grunde nichts anderes, als dass der „Wunsch nach Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität kein biologisches Verfallsdatum“ hat, wie Axel Kreutzmann vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen sagt. „Mehr Falten bedeuten nicht, dass das Bedürfnis nach Zärtlichkeit abnimmt, denn der Wunsch, einem anderen Menschen nah zu sein, besteht bis ins hohe Alter.“ 

Auch die Erfahrungen, die wir aus früheren Partnerschaften mitbringen, sind sehr prägend, wenn es darum geht, wenn wir uns noch einmal auf eine neue Beziehung einlassen. Es gibt Menschen, die ein Leben lang wechselnde Beziehungen hatten, andere haben ein oder mehrere Scheidungen hinter sich, viele sind seit vielen Jahren überzeugter Single und wieder andere sind nach langer Ehe verwitwet.

So vielfältig die Voraussetzungen für eine Partnerschaft im Alter sind bzw. sein können, so sehr sollte man nun auf seine eigenen Wünsche achten. Nach dem Tod eines Ehepartners z.B. fühlen sich manche Menschen weiterhin als Teil einer Ehe und empfinden es fast wie Verrat oder Betrug, wenn sie danach noch einmal eine Beziehung eingehen. Dieses Gefühl verdient Respekt und sollte akzeptiert und anerkannt werden. Viele glauben auch, dass sie gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, wenn sie sich wieder binden oder sogar heiraten. Aber in jedem Fall kann es auch etwas Positives sein, sich im Alter noch einmal umzuorientieren und eine ganz neue Form der Partnerschaft auszuprobieren.

Zudem können Ältere von ihrem Erfahrungsschatz aus ihren früheren Beziehungen profitieren: wieviel Nähe und Distanz man sich in der Beziehung wünscht, welche Erwartungen man an den Partner stellt und welche Fehler man unter keinen Umständen wiederholen möchte. Ältere Menschen sind in den meisten Fällen in der Lage ihre Bedürfnisse klar zu erkennen und artikulieren zu können und ihre Beziehung dementsprechend zu gestalten. Darüberhinaus erfährt eine neue Liebe im Alter in der Gegenwart auch im gesellschaftlichen Kontext zunehmend eine größere Akzeptanz.

Gleichgültig, ob die Trennung aufgrund von Differenzen oder wegen eines Todesfalls erfolgt ist – sie schmerzt immer. Gedanken an frühere, glückliche gemeinsame Zeiten flackern immer wieder auf, auch wenn die Trauerphase bereits überwunden scheint. Doch niemand, der mit 50 oder 60 Jahren auf einmal wieder partnerlos ist, muß sich mit der Vorstellung zufrieden geben, bis ans Lebensende allein zu bleiben. Zudem tun sich im Alter auf vielen Ebenen ganz neue Möglichkeiten auf: die Rushhour des Lebens ist vorbei, die Kinder sind groß, das Berufsleben eventuell schon abgeschlossen – wir haben nun alle Möglichkeiten, uns mit einem Mehr an Zeit unseren Interessen zu widmen. Wir können vollkommen neue Prioritäten setzen und wir lernen jetzt zu unterscheiden, was uns wirklich wichtig ist und meinen nicht mehr, irgendwelche gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen zu müssen.

In einer vorangegangenen langen Partnerschaft hat sich in vielen Fällen mit den Jahren ja auch oft eine Routine breitgemacht, aus Liebenden sind Freunde geworden und man weiß gar nicht mehr, wie sich Schmetterlinge im Bauch, die berühmten Frühlingsgefühle eigentlich anfühlen.

Etliche Menschen, die ihren Partner verloren haben, bleiben allein, zehren von den gemeinsamen Erinnerungen und leben mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart und Zukunft und empfinden es auch ein Stück weit als Untreue, wenn sie sich wieder auf eine neue Beziehung einlassen. Dennoch gibt es ebenso viele Menschen, die sich nach einer Zeit des Alleinseins auf die Suche begeben. Und wer seinem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen möchte, hat dafür eine Reihe von Optionen:

  • einem Verein oder Klub beizutreten
  • Tanzabende zu besuchen
  • Wandern, Bergsteigen
  • Kurse an der Volkshochschule zu belegen
  • sich bei Partnervermittlungen 50+ anzumelden
  • Zeitungsannoncen in verschiedenen Zeitungen zu inserieren
  • einen Urlaub mit einer Single-Reise zu verbinden

Zahlreiche Aspekte sprechen dafür, sich auf eine Liebe im Alter einzulassen, da viele Faktoren, die in jüngeren Jahren eine entscheidende Rolle spielten, nun nicht mehr relevant sind bzw. sich entscheidend gewandelt haben.

  1. Viele junge Menschen haben ein Idealbild eines Partners, das aber oft nicht der Realität entspricht, speziell hinsichtlich der Familiengründung. Ältere Menschen halten selten noch an einem Idealbild fest, da sie so viele verschiedene Dinge auf der Beziehungsebene erlebt haben und ihnen bewußt geworden ist, dass jeder Mensch seine Eigenheiten hat, nicht zuletzt sie selber – der perfekte Partner ist eine Illusion. Wenn die Basis stimmt, nimmt man in späteren Jahren spezielle Eigenheiten viel eher in Kauf, man ist toleranter und akzeptiert den anderen Menschen als Individualität.
  2. Ältere Menschen haben in den meisten Fällen viel erlebt, reichlich Erfahrungen gesammelt, wissen, was sie wollen, zum Glücklichsein brauchen und sind mit sich im Reinen, zumindest mehr als in jungen Jahren. Aus all diesen Gründen sind sie selbstbewußter und können ihre Bedürfnisse klar formulieren und artikulieren, gleichgültig auf welcher Ebene.
  3. Von großer Bedeutung ist es auch, dass es im Alter nicht mehr darum geht, jemanden zu finden, mit dem man eine Familie mit allen damit verbundenen Herausforderungen gründen kann, denn dies gehört ggfs. bereits der Vergangenheit an. Komplexe Lebenspläne spielen keine Rolle mehr, man kann sich ganz entspannt auf eine neue Beziehung einlassen. Vielmehr als die gemeinsamen Ziele haben nun die gemeinsamen Interessen Priorität. Das verändert definitiv die Kriterien bei der Partnerwahl und macht das Zusammenleben, ein welcher Form auch immer, einfacher.
  4. Generell wird der Drang, möglichst viel zu erleben und auszuprobieren, im Alter weniger, eine Tatsache, die sich auch auf die Beziehung auswirkt. Abenteuerurlaube, romantische Dates und ähnlich aufregende Aktionen müssen nicht mehr unbedingt sein – die Ansprüche an die eigene Freizeitgestaltung sind wesentlich gelassener als in jüngeren Jahren. Aber natürlich sind auch in dieser Hinsicht die Vorlieben individuell und sehr unterschiedlich.
  5. Ein erfüllendes Sexualleben wünschen sich viele Menschen auch im Alter, denn das Bedürfnis nach Lust und körperlicher Nähe ist immer noch vorhanden, wenn auch in verwandelter Form und mit manch anderen Facetten. Viele ältere Menschen wissen ganz genau, was ihnen im Bett gefällt und sind in der Lage, ihre Lust im Alter noch einmal ganz neu zu entdecken, zumal man sich auch über Verhütung und ungeplante Schwangerschaften keine Gedanken mehr machen muß. Zudem hat man nun alle Zeit der Welt und wird von niemandem gestört. Entscheidend ist aber vor allem, dass sich die Partner mit viel Verständnis begegnen, vor allem auch im Hinblick auf altersbedingte Einschränkungen. 

So begrüßenswert es ist, dass Sexualität im Alter in zunehmendem Maße kein Tabuthema mehr ist wie es in dem Film Wolke 9 ausführlich dargestellt wird, muß man sich auch dafür hüten, nun ihren Stellenwert überzubewerten. Viele Jahrhunderte lang war nämlich der „lüsterne Greis“ der Lächerlichkeit preisgegeben, bei Frauen hingegen war die erotische Anziehungskraft sehr eng an ihre Fruchtbarkeit gebunden, d.h. dass die Wechseljahre naturgemäß diesem Lebensabschnitt ein Ende gesetzt haben.

Einerseits ist es vollkommen richtig, sich von Klischees zu verabschieden, aber es ist im Umkehrschluss auch problematisch, jetzt davon auszugehen, dass Sex bis ins hohe Alter im Sinne eines regelrechten Fitnesswahns wirklich im Sinne der älteren Menschen ist, oder jetzt nicht ganz andere Prioritäten im Vordergrund stehen. Man darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht lassen, dass der Körper eines über 60-jährigen nun einmal nicht mehr derselbe ist wie der eines 20-jährigen. Durch das Festhalten an seinem jugendlichen Selbstbild setzt man sich somit nur selbst unter Druck und Anspannung ist bekanntlich der Feind jeder Lust. Auch der Körper einer Frau stellt sich mit dem Beginn der Wechseljahre, bedingt durch die nachlassende Produktion von Östrogen, langsam um, was verschiedene Folgen im Physischen hat, sich aber nicht auf ihr Lustempfinden auswirkt. Beim Mann gibt es mit zunehmendem Alter ebenfalls körperliche Einschränkungen, dennoch nimmt es ihm in den meisten  Fällen nicht die Freude an der Erotik, denn auch hier gilt die Devise: Wer sein Leben lang sportlich war, wird es auch im Alter sein und wer immer lustvoll gelebt hat, wird ebenso im Alter Freude an Sexualität und Erotik haben, wenn sich auch die Spielarten der Liebe verändern und man mehr zärtlich als wild im Dialog ist.

Ungeachtet dessen, ob man bereits in einer langjährigen Beziehung zusammenlebt oder ob man noch einmal eine neue Partnerschaft eingeht, die einen Frühlingsgefühle erleben lässt. Es gibt viele Möglichkeiten, sich unter den neuen Umständen wieder weiterzuentwickeln, das Leben zu 

geniessen und das Alter nicht nur unter dem Blickwinkel seiner Schattenseiten kennenzulernen. Nichtsdestotrotz sollte man aber einige Dinge beachten, um die Sonnenseiten möglichst ausschöpfen zu können:

  • das Leben sollte im Hier und Jetzt stattfinden und man sollte jeden einzelnen Tag neu für sich entdecken und geniessen
  • gemeinsame Interessen und schöne Momente definieren, evtl. gemeinsame Hobbys wieder aufleben lassen
  • die Tätigkeitsfelder im Haushalt klären: wer ist für was zuständig?

Da man im Alter meist milder und gelassener wird, kann man auch mit Konflikten ganz anders umgehen als in jungen Jahren. Denn man hat gelernt, dass sich Konflikte auch klären lassen ohne zu streiten. Die Grundlage für ein friedliches Miteinander können folgende Komponenten darstellen:

  • neugierig bleiben auf den Partner und die Liebe
  • gegenseitiger Respekt
  • reden und zuhören ist das A und O
  • Rituale
  • Aufmerksamkeit und Zuneigung zeigt sich oft in kleinen Dingen
  • den Humor nicht verlieren – gemeinsames Lachen verbindet
  • füreinander offen bleiben

Nicht zuletzt stellt sich für ältere Paare die Frage, welche Wohnform sie praktizieren wollen, da sie in der Regel in dieser Angelegenheit weitgehend frei sind, da sie nur noch in seltenen Fällen auf Kinder oder andere Angehörige Rücksicht nehmen müssen. Da es im Alter neben der Gemeinsamkeit ausgesprochen wichtig sein kann, seinen persönlichen Freiraum wahren zu können  – mehr als in jedem anderen Lebensalter -, kann beispielsweise das LAT-Modell (Living Apart Together) diesem Bedürfnis sehr entgegenkommen. Man sollte sich auch nicht scheuen, die Frage offen anzusprechen, wie man damit umgeht, falls einer der beiden pflegebedürftig werden sollte. Das kann vielen Konflikten und Missverständnissen vorbeugen.

Für die eigene Familie, vor allem die Kinder,  kann es oft eine Herausforderung darstellen, wenn ein Elternteil noch einmal eine Partnerschaft eingeht, da sie sich schwer vorstellen können, dass dieser jemand anderes lieben kann als den verstorbenen Partner – da kann es helfen, den Kindern einfach Zeit zu geben, aber auch deutlich zu machen, dass man ein selbstbestimmter Mensch ist, der Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche hat, die es zu respektieren gilt.

Wir können also sehen, dass Frühlingsgefühle und Schmetterlinge im Bauch im Alter unter Umständen sogar noch schöner als in jungen Jahren sein können, da sich die Voraussetzungen wie wir gesehen haben in vielerlei Hinsicht geändert haben und sich auch in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu diesem Zeitpunkt meist viel getan hat.

Das späte Glück kann jedem begegnen, man muß nur dafür aufgeschlossen sein, wenn es bei einem anklopft und ihm eine Chance geben, denn für die Liebe ist man nie zu alt!

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TheMan
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